Fin the Siecle

Tanztheater

Fin de Siecle

Am Anfang war, wie so oft das Wort, und das Wort war Fin de Siècle. Ein Begriff, aufgeladen mit morbiden Gedanken, der Schatten unter dem Goldglanz der Belle Époque. Wo das siegreiche, industrielle, kapitalistische, koloniale Bürgertum sich mit Eifeltürmen und Weltausstellungen feierte, witterten sensible Zeitgenossen den Verfall.
Die Verlogenheit unter der moralischen correctness. Dekadenz als Willen zur Verschwendung, zum Femininen, zum nervösen Ich. Fin de Siècle wurde zum gewisperten Schlachtruf der Poeten, der Anti-Bürgerlichen, der mit dem Tod, der Sünde Kokettierenden. Fin de Siècle – die laszive Liturgie am Ende eines Jahrhunderts, nach dessen Fall die Zukunft bedrohlich schien.
Dekadenz, der Vorwurf der Machos, der starken Männer, der Despoten, der dekadente Westen, bei dem nichts mehr durch Opfer gewonnen werden soll: sondern allen gleiche Rechte zukommen – wie schwächlich, wie wenig tragisch, wie demokratisch: wie dekadent.
Aber wer so schnell mit dem Vorwurf der Dekadenz zur Hand ist – wie weit ist derjenige auf dem Weg zur Degeneration? Wo verkommt das, was sich als stark, potent, autokratisch feiert, zum geilen Raub, zur Orgie: wo verkommt der spielerische Zweifel des Dekadenten an sich, am Sinn der Welt zur bloßen Leere: die man mit Sensationen, mit öligem Gold, mit bezahlter Liebe, mit Drogen überspielt?
Zwei Abende, zwei Choreographien – inspiriert vom Fin die Siècle und den Spielarten der Dekadenz und der Degeneration, dem Ende eines Zeitalters und das Ende der Zukunft selbst.
MEDUSA IN CATHEDRAL beginnt den Tanz in einer opiumgeschwängerten Apsis einer gottlosen Kirche, wo Vampire die Messe lesen, der versteinernde Blick Statuen zum Leben erweckt, Salome der Kopf des Täufers jagt und die ganze Liturgie ein großer Zirkus des Todes wird: eine Apotheose der Verschwendung, des Opfern und Geopfertwerdens, als Sinnbild einer Zeit, die alles hat und davon in den Rausch gerät noch mehr zu vergeuden, die Welt, die Gesellschaft, sich selbst.
Ehe es dann in CATHEDRAL OF ATOMS in die Zukunft geht, ans Tor am Ende der Galaxis, wo nicht mehr fin de siècle, sondern fin du globe lauert – wie nahe ist man am Zerfall aller Atome, dem ultimativen Tod der Materie, dem Moment, jenseits dessen kein Gedanke mehr an den Menschen existiert? Fliegen noch die Rotkehlchen in der Nacht, wie Laura Dern in Blue Velvet träumt? Ist Liebe ein Rotkehlchen oder auch bloß zufällige Verkettung von Partikeln? Und welche Verantwortung haben wir für unsere Zwillingspartikel, wenn Liebe nichts anderes als ein Photon wäre?
JAHR

2019

KUNDE

Staatstheater Kassel

REGIE

Lenka Vagnerová

REGIE

Johannes Wieland

TYP

Tanztheater / Trailer